Georg Toepfer
Historisches Wörterbuch der Biologie, Rezension

Philosophische Rundschau 59 (2012), S. 361-366

Besprechung von Ernst Müller

Zur Begriffsgeschichte gehört natürlich der Erstbeleg eines Wortes, eines Begriffs oder einer Idee. Den präzisen historischen Erstbeleg für seine Idee eines Historischen Wörterbuchs der Biologie gibt Georg Toepfer selbst. Von Ernst Cassirer ist überliefert, dass ihm der Plan zu einer Philosophie der symbolischen Formen in einem schnellen Verkehrsmittel, nämlich 1917 beim Einsteigen in die elektrische Straßenbahn auf dem Weg ins Kriegspresseamt ›aufgeleuchtet‹ sei. Nicht weniger symbolisch ist Toepfers Auskunft, die Idee zu seinem Wörterbuch sei ihm am 26. März 2001 an einer holsteinschen Wegkreuzung auf dem Fahrrad gekommen. Die Ironie ist unverkennbar, sieht man das Fahrrad als solitär zu fahrendes und entschleunigtes Fortbewegungsmittel.

Die großen begriffsgeschichtlichen Wörterbücher, allen voran das Historische Wörterbuch der Philosophie, wurden oft jahrzehntelang von darüber alt werdenden Herausgebern und geradezu industriemäßig von mehreren Redaktionen erarbeitet, die größeren Artikel verfassten gleich mehrere Spezialisten - nicht selten mit dem Effekt, dass zwar die einzelnen Teile, nicht aber die ganzen Artikel oder gar das ganze Werk in sich kohärent waren. Nun hat tatsächlich ein Autor, noch dazu ein eher am Beginn seiner akademischen Laufbahn stehender Philosoph und Biologe, ein dreibändiges und über 2500 Seiten umfassendes Wörterbuch alleine und in einem überschaubaren Zeitraum für das gesamte Gebiet der Biologie vorgelegt. Für eine Disziplin also, die nicht nur, wie die meisten Naturwissenschaften, in begriffsgeschichtlicher Hinsicht bis dahin weithin noch unerforscht war, sondern die, wie wohl keine andere Einzelwissenschaft in der jüngeren Geschichte mit ihren Begriffen so sehr zum Leitdiskurs und zum Moment eines Allgemeindiskurses geworden ist wie die in die Lebenswissenschaften eingegangene Biologie.

Wie der Autor dieses dreibändige Werk alleine schreiben konnte, bleibt dem Leser unerklärlich. Geradezu etwas verlegen, und wie selbst über seine Leistung erstaunt, verweist der Verfasser auf die mediale Gunst der Stunde: die digitale Erschließung und die Recherchemöglichkeit eines großen Teils der wissenschaftlichen Literatur habe eine Transparenz in die Geschichte der Wörter gebracht, die es dem Einzelnen erlaube, Begriffsgeschichten mit dem berühmten Mausklick zu eruieren. Die Tatsache, dass hier ein Wörterbuch gleichsam aus einem Guss entstanden ist, wirkt sich auf das Konzept wie auf dessen Durchführung aus. Denn unter dem Zwang, Vertreter unterschiedlicher theoretischer Ansätze in die kollektiv erarbeiteten Großwörterbücher zu integrieren, traten dort methodische Vorgaben und Reflexionen oft gegenüber pragmatischen Richtlinien zurück; oder die programmatischen Fragen und Hypothesen wurden - wie im Falle von Reinhart Kosellecks Geschichtlichen Grundbegriffen - von den einzelnen Artikeln kaum einmal eingelöst. All dies hat dazu beigetragen, dass nicht nur eine Theorie der Begriffsgeschichte bis heute Desiderat geblieben ist, sondern dass die Not immer wieder als Tugend interpretiert wird: Begriffsgeschichte sei eine gleichsam divinatorische und plurale Praxis, die gar nicht auf den Begriff gebracht werden sollte. Bevor der Rezensent, der weder Biologe noch Biologiehistoriker ist, sich in seiner Besprechung auf einige methodische Vorannahmen - vor allem auf die philosophisch interessanten Effekte und Schwierigkeiten der Verbindung einer aus den Geisteswissenschaften stammenden Methode auf eine Naturwissenschaft - konzentrieren will, soll zunächst auf den Gebrauchswert dieses zu Superlativen verführenden Werkes verwiesen werden.

Georg Toepfers Historisches Wörterbuch ist zunächst ein äußerst informatives, klug durchdachtes und benutzerfreundliches Nachschlagewerk zu 112 biologischen Grundbegriffen und ihnen zugeordneten 1760 Nebeneinträgen. Zu den Grundbegriffen gehören, um nur beliebige Beispiele zu nennen, solche Stichworte wie Anatomie, Art, Diversität, Evolution, Gen, Gewebe, Krankheit, Mutation, Räuber, Tod, Wachstum oder Zelle. Am Anfang eines jeden Artikels findet sich eine konzise systematische Definition des jeweiligen Begriffs sowie ein orientierendes Verzeichnis der im Artikel behandelten Nebeneinträge in chronologischer Folge. Neben der Geschichte der großen Begriffe erfährt man durch diese subordinierten Einträge en passant etwas über Begriffe, von denen man mitunter selbst noch nicht wusste, dass man schon immer etwas über ihre Geschichte wissen wollte: etwa zur Herkunft von ›Leitwissenschaft‹, ›Aha-Erlebnis‹, ›missing link‹, ›Monster‹, ›Naturschutz‹, ›Nische‹ oder ›Psychosomantik‹. Der historische Artikelteil geht von der Etymologie des jeweiligen deutschen Wortes aus und fragt dann, wann und in welcher Sprache das entsprechende Wort ein biologischer Begriff wurde. Die weitere Narration verbindet Theorie- bzw. Ideengeschichte und Systematik; die Begriffsgeschichten werden epochengeschichtlich, problemgeschichtlich und theoriegeschichtlich dargestellt. Gerade die zentralen Artikel (z. B. Evolution, Leben, Organismus) enthalten neben der deskriptiven Darstellung mitunter auch zurückhaltende Wertungen des Autors.

Ungewöhnlich für das Genre Begriffsgeschichte und doch überzeugend eingesetzt sind Bilder, wozu der witzige Einfall gehört, analog zu den berühmten wortbezogenen Erstbelegen auch die früheste bildliche Darstellung der von dem Begriff bezeichneten Sache aufzunehmen. Neben den 576 Bildern findet der Leser andere, mitunter spielerisch anmutende Darstellungsformen: Tabellen und Grafiken, die teils der Literatur entnommen und teils selbst verfertigt sind. Sie problematisieren die Ordnung der Begriffe, geben zusätzliche Sachinformationen oder nehmen statistische Auswertungen des semantischen Materials vor. Die Artikel, deren Länge zwischen ca. drei und siebzig Seiten variiert, beschließt der Autor jeweils mit ausgewählten Literaturhinweisen. Eine die bibliographischen Nachweise ergänzende Bibliographie findet der Leser ebenso im Internet wie eine interaktive, vor allem auf die englische Wissenschaftssprache zugeschnittene Zitatdatenbank (www.biological-concepts. com).

Toepfer hat die große Fähigkeit, komplizierte biologietheoretische Sachverhalte auch dem Laien verständlich darzulegen. Das Lexikon ist so zugleich eine (historische) Einleitung in die wesentlichen Gebiete der Biologie. Manche Artikel zu Grundbegriffen (z. B. Selektion, Organismus, Evolution) haben dabei geradezu den Charakter von Monographien. Die schier unglaubliche Menge des verarbeiteten Textmaterials (allein der Artikel Organismus verarbeitet ca. 600 verschiedene Quellen) beherrscht der Autor souverän und in gleichbleibend dichter wissenschaftlicher Prosa; niemals gerät ihm das Material zur bloßen positivistischen Faktensammlung. Es liegt in der Sache, dass sich Material und Argumentationen in thematisch benachbarten Artikeln mitunter wiederholen.

Mit Toepfer erreicht die Methode der Begriffsgeschichte, insbesondere in ihrer Anwendbarkeit auf die Naturwissenschaften, einen neuen Grad der Selbstreflexion. In der 36seitigen Einleitung finden sich interessante und präzise Überlegungen zu verschiedenen methodischen Aspekten der Begriffsgeschichte: zur Zeichentheorie, zur Pragmatik der Begriffsgeschichte (mit der Unterscheidung von vagen und offenen, Perspektiv-, Kompensations-, Projekt- und Plusbegriffen etc.), zur Verlaufsform und Erzählstruktur von Begriffsgeschichten (etwa zur Ungleichzeitigkeit von Begriff, Wort, Terminus und Idee sowie der interessanten Beobachtung, dass der Umbau der großen Begriffe oft nicht am Anfang, sondern am Ende der Umstrukturierung eines differenzierten Wissenssystems erfolgt).

Ihren großen intellektuellen sowie philosophischen Reiz bekommen diese Überlegungen aber vor allem dadurch, dass sich Toepfers Wörterbuch auf der Grenze des methodischen Gegensatzes von Natur- und Geisteswissenschaften bewegt. Denn während die Biologie wie andere naturwissenschaftliche Disziplinen an der Geschichte ihrer Begriffe, noch dazu in ihrer entkontextualisiert-alphabetisierten Anordnung systematisch wenig Interesse hat, ist die Begriffsgeschichte für die Geisteswissenschaften eine (Hilfs)Disziplin, die systematischen Gewinn verspricht oder sogar zum Selbstzweck geworden ist. Für Toepfer lässt sich "weder eine begriffliche Systematik ohne geschichtliche Perspektive, noch eine Begriffsgeschichte ohne systematische Bezüge schreiben." (Bd. I, S. XVIII) Er fordert deswegen eine ›Philologie der Naturwissenschaften‹. In seinem Wörterbuch äußert sich der systematische Zugang in der Auswahl und Hierarchisierung der Wörterbucheinträge sowie darin, dass jedem Artikel eine (auch die historische Entwicklung resümierende) Definition voranstellt ist.

Dabei will der Verfasser die Unterschiede zwischen Natur- und Geisteswissenschaften keineswegs nivellieren. So betont er, dass in der Biologie als einer Naturwissenschaft die Begriffsbildung "eher einem linear-fortschreitenden, akkumulativen oder falsifizierenden Modell folgt als in den Geistes- und Sozialwissenschaften". (Bd. I, XVI). Das hat paradoxe Folgen, insofern zum Beispiel die Wort- und Begriffsprägung, die im Zuge der Kritik an Ursprungsfiguren in der Geistes- und Kulturgeschichte und deren historisch rückgreifenden und kreisenden Verfahren ihren Stellenwert weithin verloren haben, in einer sich linear fortschreitend verstehenden Wissenschaft wie der Biologie durchaus ihre Relevanz behalten können.

Methodisch am interessantesten sind die klugen, auch gegen modische Stachel der Wissenschaftsgeschichte löckende Beobachtungen über die besondere Affinität zwischen Biologie und Begriffsgeschichte. Damit sind nicht so sehr die eher spielerisch-metaphorischen Formulierungen gemeint wie die von den Begriffen als Lebewesen oder von der Phylogenese resp. Ökologie der Wörter. (Bd. 1, S. XV) Die Begriffsgeschichte ist für Toepfer vor allem deswegen die Methode der Wahl, weil die Biologie eine begriffszentrierte Wissenschaft ist (Bd. I, S. XXI). Aufgrund ihrer spezifischen Gegenstände geht es der Biologie nur ausnahmsweise um quantifizierende Gesetze, wie der Physik. Sie hat es eher mit individuellen und (evolutions)geschichtlichen Phänomenen zu tun, die nur beschreibend erfasst werden können. So ist es kein Zufall, dass die Biologie schon in Heinrich Rickerts klassisch gewordener Unterscheidung zwischen nomothetischer und idiographischer Methode nicht eindeutig zugeordnet werden konnte. Die Begriffszentriertheit gründet für Toepfer offensichtlich auch in der engen Verbindung der biologischen Grundbegriffe und der Philosophie. Der Begriff des Organismus wurde weder durch anatomische Experimente noch durch bildgebende Verfahren gefunden. Er wird in der Biologie auch heute noch in derjenigen theoretischen Gestalt diskutiert, die der Begriff vor allem im theoretischen Gebäude Kants gefunden hat. Die Verflochtenheit der biologischen und der philosophisch-kulturellen Begrifflichkeit ist dabei auch eine Bedingung dafür, dass in der Biologie die Grenze zwischen Kultur und Natur umstritten bleibt; gerade dort, wo sie sich auf den Menschen bezieht, wirken konnotative und evaluative Wortbedeutungen weiter. Das Historische Wörterbuch der Biologie reflektiert die Grenzstreitigkeiten durch die Aufnahme einer ganzen Reihe von Einträgen, die man zunächst nicht unbedingt als biologisch ansehen würde (Bewusstsein, Fortschritt, Kultur, Kulturwissenschaften, Spiel).

Schließlich kann die Begriffsgeschichte auch zur genuinen Methode der Biologie werden, weil sie über ein "überraschend konstantes und altes Grundgerüst von Konzepten" verfügt, "das den begrifflichen und theoretischen Kern der Biologie ausmacht". (Bd. I, S. XIII) Weil Toepfer in der Wissenschaftsentwicklung einen sukzessiven (mitunter auch revisionistischen) Aufbau von langfristigen Konzepten erkennt, sieht er in der Biologie einen Zusammenhang zwischen Genese und Geltung. Diese begriffliche Kontinuität beruhe auf der Konstanz vorhergehender lebensweltlich gegebener Phänomene (Ernährung, Fortpflanzung etc.) sowie deren präbegrifflich funktionalistischer Objektivierung. Der Fortschritt der biologischen Grundbegriffe, die Toepfer zumeist bis in die Antike zurück verfolgt, vollziehe sich in der Biologie kumulativ, ohne die umfassende Revisionen und Umbrüche, also Paradigmenwechsel wie in der Physik. So nimmt Toepfer sicher nicht zufällig das Stichwort der ›biologia perennis‹ auf.

Toepfers anspruchsvoller Versuch, das Selbstverständnis der Biologie in ihren systematischen und Wahrheitsansprüchen möglichst eng mit der Methode der Begriffsgeschichte zu verbinden, zeigt auf verschiedenen Ebenen in der Sache liegende Widersprüche. Das soll abschließend an drei, für das Gesamtunternehmen nicht unwichtigen methodischen Entscheidungen gezeigt werden: dem Fortschrittsbegriff, dem zu Grunde gelegten zeichentheoretischen Modell und dem Verständnis der Biologie als Disziplin. Solche weiterführenden Fragen sind allerdings überhaupt erst auf der Grundlage dieses grandiosen Werks möglich, das die Voraussetzung für eine Begriffsgeschichte wäre, die auch nach Toepfers Auffassung in der Regel ein interdisziplinäres Unterfangen sei (Bd. I, S. XVI).

Die Möglichkeit, die Begriffsgeschichte mit dem Anspruch eines systematischen Ertrags auf die Biologie anzuwenden, gründet in gewisser Weise in einem unterstellten kontinuierlichen, weithin bruchlosen Fortschritt der Biologie und ihrer Grundbegriffe. Dabei definiert Toepfer als Kriterien des Theoriefortschritts ein größeres Erklärungspotenzial der Phänomene, die Ausbildung einer differenzierteren Terminologie sowie die technische Beherrschung des Materials. Gegen diese Annahme ließe sich der Vorwurf einer Verkürzung des begriffshistorischen Ansatzes machen, weil die Maßstäbe für diese Art Fortschritt selbst historisiert werden müssten, wobei gerade der Begriff des kontinuierlichen Fortschritts auch von biologischen Denkfiguren (den Begriffen Wachstums oder die Idee ›natura non facit saltus‹) zehrt. Während der Revolutionsbegriff auf die Kosmologie zurückgeht, korrespondiert das Evolutionskonzept eher der Entwicklungslogik im organischen und Lebensbereich. In diesem Sinne ist neuerdings eine Entkoppelung und wechselseitige Dekonstruktion von Fortschritt und Evolution im Neoevolutionismus erkennbar. Hier könnte man mit Blumenberg nach den Substrukturen des Denkens fragen. Und vielleicht funktioniert das Fortschrittsparadigma auch nur deswegen so gut, weil Toepfer sich disziplinär beschränkt. So kommen mögliche Wechselwirkungen zwischen Disziplinen, Diskursen und Allgemeindiskurs nur punktuell, vor allem in der Wortgeschichte und der Phase der Begriffskonstituierung, nicht aber ihren weitreichenden Konsequenzen in den Blick. Ein Begriff wie ›Fortschritt‹ kann sicher nur in den Übertragungsprozessen zwischen Biologie, Soziologie und Ökonomie, Theologie und Geschichtsphilosophie, allgemeinem und literarischen Diskurs bestimmt werden. Die Konzentration auf die engere biologische Geschichte der Begriffe, der weitgehende Verzicht auf die Darstellung metaphorischer und anderer Übertragungsformen, hat die Fertigstellung des Werkes wohl überhaupt ermöglicht.

Wenn sich hier also die Frage stellt, ob nicht zugunsten eines systematischen Interesses an der Biologie eine konsequente Historisierung ihrer Begriffe unterbrochen wird, so stellt sich ein ganz ähnliches Problem für das von Toepfer verwendete zeichentheoretische Modell, das als eine Mischform natur- und geisteswissenschaftlichen Herangehens zu erkennen ist. Denn einerseits zeigt Toepfer beispielsweise am Genbegriff sehr plausibel, wie zunächst ein Begriff gebildet wird, nach dessen stofflicher Grundlage erst danach gesucht wird. Die Sachdimension ist hier ohne Begriff nicht denkbar: "[D]ie Sachen von denen die Wissenschaften handeln, also die Sachverhalte und Phänomene" werden "erst durch die Sprache das [. . .] was sie sind." (Bd. I, S. XVI) Andererseits setzt Toepfer aber mit dem semiotischen Dreieck zugleich eine von der Sprache unabhängige Ebene voraus. Ganz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Toepfer, um die systematische Einheit der Biologie in ihrer Geschichte tatsächlich durchführen zu können, im Zweifel eine sachgeschichtliche Kontinuität unterstellt (Bd. 1, S. XXXI f.). "Charakteristischerweise besteht die ›Sache‹, die von den biologischen Grundbegriffen bezeichnet wird, seit mehreren Milliarden Jahren (im Verhältnis zur ›Kulturgeschichte‹ also zum Zeitpunkt Null)" (Bd. 1, S. XXXI). In einer konsequent verfahrenden Begriffsgeschichte müsste, was natürlich auch nicht ohne Paradoxien ist, die (Tat)Sache im semiotischen Dreieck selbst zu einem Moment der historischen Semantik werden. Es ist deswegen wohl kein Zufall, dass in Toepfers Konzept die Ikone der derzeitigen postmodern-konstruktivistischen Epistemologie, Ludwik Fleck, keine erkennbare Rolle spielt.

Ein dritter zu diskutierender Punkt wäre die Frage, ob oder mit welchen theoretischen Vorannahmen die hier vorgeführte Einheit der biologischen Grundbegriffe unterstellt werden kann. Die These, dass es in der Biologie keinen der Physik vergleichbaren Paradigmenwechsel gebe, konterkariert und relativiert allerdings die gängige Auffassung eines gravierenden historischen Einschnitts: nämlich die These, dass die Biologie als Wissenschaft überhaupt erst um 1800 entstanden sei. Toepfer hat gute begriffsgeschichtliche Gründe für seine These, die aber umgekehrt das ganze Unternehmen erst legitimiert. Er löst das Problem elegant, indem er gar kein Hehl daraus macht, dass er die Geschichte rekursiv aus der Perspektive der Gegenwart schreibt. Allerdings zeigt sich gerade nach Toepfer die Gegenwart der Biologie in einer durchaus kritischen Lage: indem die Biologie (dominant erst seit den 90er Jahren) zur Lebenswissenschaft und Biomedizin wird, mit technogener Inanspruchnahme der Biologie, droht sich die Biologie in einem stark auf das menschliche Leben zugeschnittenen Diskurs ebenso selbst aufzulösen wie eine spezifische menschliche Sphäre der großen Begriffe. Die ökonomisch und institutionell bedingte zentrale Stellung der Medizin innerhalb der Lebenswissenschaften rücke Wertfragen ins Zentrum, die aus dem Selbstverständnis der Biologie als Grundlagenwissenschaft der Natur ausgeschlossen seien. "Durch die Fokussierung auf das Biomedizinische des Menschen und eventuell die damit verbundenen ethischen und sozialen Fragen kann ›Lebenswissenschaften‹ andererseits aber auch eine Einengung gegenüber dem Biologiebegriff implizieren." (I, 268) Merkwürdigerweise entdecken Geisteswissenschaftler, Germanisten, Kunstwissenschaftler oder Philosophen gerade in diesem Augenblick ihr - nicht selten oberflächliches - Interesse an der Biologie, erhoffen sich von ihr einen metaphysisch- metaphorischen Mehrwert. Solchem modischen und sich der Biologie wie eines Steinbruchs exemplarisch bedienenden Zugriffs auf je Interessantes setzt Toepfer sein disziplinäres und historisches Wissen entgegen.

Toepfers Wörterbuch erscheint also auch als Reflexion auf eine Disziplin, die in ihrer tradierten Gestalt gerade in der Gegenwart in Frage steht. Vielleicht also malt die Philosophie der Biologie oder Biophilosophie ihr Grau in Grau, wenn eine Gestalt der Wissenschaft alt geworden ist: denn all das, was Toepfer der Biologie etwas beschwörend als wesentlich zuschreibt, steht angesichts jüngerer Entwicklungen gerade in Frage: ihre Begriffszentriertheit, die jeder Experimentalordnung vorhergehende phänomenologische Bindung der Begriffe, die kontinuierliche Entwicklung der Kategorien seit der Antike, mithin auch die These, dass die Biologiegeschichte keine gravierenden Einschnitte kenne.

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